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Akademische Halbbrüder

Die Verbindung von Musik und Medizin ist vielfältig und reicht weit in unsere Kulturgeschichte zurück. Schon die griechische Mythologie illustriert die Zusammengehörigkeit von Musik, Schönheit und Heilkraft durch die Genealogie ihrer Götter: So wurde Apollo als Gott der Musik und der Heilkunst verehrt.

Er zeugte Orpheus, den größten Sänger der Antike, dem er das Spiel auf der Lyra bis zur Meisterschaft beibrachte, und Asklepios, den Vater der Medizin, den er in der Heilkunst unterrichtete. Demnach sind Musik und Medizin Halbbrüder. Lange Zeit stand hauptsächlich die positive Wirkung der Musik für die Gesundheit im Vordergrund. So beschrieb Platon in seiner „Politeia“ Musizieren und Bewegung als Grundelemente einer gesunden und ausgewogenen körperlichen und geistigen Entwicklung. Die gesundheitsförderlichen Wirkungen des Musizierens können heute zum Teil mit modernen Methoden in wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen werden. So verbessert Singen die Leistung des Immunsystems, und die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen generell erhöht signifikant die Lebenserwartung. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde die therapeutische Wirkung von Musik verstärkt im Bereich seelischer Störungen eingesetzt, woraus sich die Musiktherapie entwickelte, die heute eine eigenständige Behandlungsform bildet. Auch die Möglichkeiten des Einsatzes von Musik in der Medizin, die bereits von dem Chirurgen Theodor Billroth im 19. Jahrhundert erwogen werden, sind heute fester Bestandteil unseres Behandlungssystems geworden – z.?B. zur Angstlösung vor und während invasiver Untersuchungen oder als Musizieren mit Patienten, Angehörigen und Ärzten im Krankenhaus zur Belebung des emotionalen Milieus, wie Arbeiten von Grosse & Vogels zeigen. Für lange Zeit bestanden also die Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Medizin hauptsächlich in der Frage, wie Musik förderlich für Bildung und Gesundheit eingesetzt werden kann. Denn Musizieren macht primär Freude und ist gesund – erst durch die hohen Anforderungen der Spezialisierung und des leistungsbezogenen Musizierens treten gesundheitliche Risiken mit auf den Plan. Die Behandlung von Musikern, die durch die Musikausübung erkrankten, geriet deutlich später in den Fokus des Interesses von Medizinern und Musikern – obwohl es bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts einzelne Warnungen vor gesundheitlichen Risiken beim Blasinstrumentenspielen gab. Durch die Entwicklung des Virtuosentums im 19. Jahrhundert häuften sich Berichte über Musiker, die im Zuge ihrer Musikausübung körperliche oder psychische Probleme entwickelten. Die Fragen: „Warum wurde Beethoven taub?“ oder „Wurde Robert Schumann zu Recht in eine psychiatrische Klinik eingewiesen?“ sind auch für nicht auf Musiker spezialisierte Ärzte spannend und werden in der Laienpresse zum Teil heute noch lebhaft diskutiert.